Du hast sicher schon einmal vom Gender Pay Gap gehört, der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen. Aber kennst du auch den Gender Care Gap? Diese weniger bekannte, aber ebenso wichtige Kennzahl zeigt auf, wie ungleich die unbezahlte Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern verteilt ist. Lass uns gemeinsam einen genaueren Blick darauf werfen.
Was ist der Gender Care Gap?
Der Gender Care Gap beschreibt den Unterschied in der Zeit, die Frauen und Männer für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden. Dazu gehören Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Hausarbeit, die Pflege von Angehörigen und das Organisieren des Alltags[1]. Der Gender Care Gap wurde erstmalig als Indikator im 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung benannt.
Was sagt die Statistik zum Gender Care Gap?
Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: In Deutschland beträgt der Gender Care Gap 44,3 Prozent. Das bedeutet, Frauen wenden durchschnittlich 44,3 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer[2]. In konkreten Zahlen ausgedrückt:
- Frauen leisten täglich etwa 4 Stunden und 13 Minuten Sorgearbeit
- Männer hingegen nur 2 Stunden und 46 Minuten
Das macht einen täglichen Unterschied von täglich etwa 87 Minuten aus[1].
Gender Care Gap zeigt sich besonders ausgeprägt in bestimmten Lebensphasen
Interessanterweise ist der Gender Care Gap nicht in allen Altersgruppen gleich stark ausgeprägt. Er erreicht seinen Höhepunkt bei den 34-Jährigen, wo er über 110,6 Prozent beträgt[1]. In dieser Altersgruppe leisten Frauen also mehr als doppelt so viel Care-Arbeit wie Männer.
Warum ist das so? In diesem Alter bündeln sich oft wichtige Lebensereignisse wie Berufseinstieg und Familiengründung. Die meiste Sorgearbeit fällt in Haushalten mit Kindern an, und es sind überwiegend die Frauen, die diese Aufgaben übernehmen[1].
Die Auswirkungen des Gender Care Gap
Du fragst dich vielleicht, warum der Gender Care Gap so wichtig ist. Die Antwort ist einfach: Er hat weitreichende Konsequenzen, besonders für Frauen.
Wirtschaftliche Nachteile:
Weil Frauen mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden, haben sie weniger Zeit für Erwerbsarbeit. Das führt dazu, dass sie häufiger in Teilzeit arbeiten oder ganz aus dem Beruf aussteigen. Die Folgen sind geringeres Einkommen, weniger berufliche Chancen und eine schlechtere Altersvorsorge[2].
Doppelbelastung:
Viele Frauen jonglieren zwischen Beruf und Familie. Sie arbeiten de facto mehr als Männer, wenn man bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammenrechnet[2]. Diese Doppelbelastung kann zu Stress und gesundheitlichen Problemen führen.
Verfestigung von Rollenbildern:
Der Gender Care Gap zementiert traditionelle Geschlechterrollen. Er suggeriert, dass Sorgearbeit „Frauensache“ sei, was es für Männer schwieriger macht, sich in diesem Bereich zu engagieren.
Besondere Herausforderungen in bestimmten Situationen
In manchen Familiensituationen ist der Gender Care Gap besonders ausgeprägt:
- In Familien mit behinderten oder chronisch kranken Kindern sind in 80 Prozent der Fälle die Mütter die Hauptbezugspersonen. Nur in 3 Prozent der Fälle übernehmen die Väter diese Rolle[1].
- Mehr als die Hälfte der Mütter mit einem kranken Kind ist nur geringfügig beschäftigt oder arbeitet in Teilzeit, während 87 Prozent der Väter in Vollzeit arbeiten[1].
Von Carearbeit zu Carearbeit: Das Problem der Sandwich-Generation – zu der auch ich gehöre
Ein besonderes Augenmerk verdient die sogenannte Sandwich-Generation. Das sind Menschen, die gleichzeitig für ihre Kinder und ihre pflegebedürftigen Eltern sorgen müssen. Auch hier sind es oft die Frauen, die den Großteil der Sorgearbeit übernehmen[1].
In meinem Fall hieß das: Ich habe mit Ende 20 ein Kind bekommen. Als das so langsam in ein Alter kam, in dem ich wieder mehr hätte arbeiten können (sagen wir, ab der Grundschulzeit), wurden meine Eltern plötzlich pflegebedürftig. Für mich sah das so aus:
- Jonglieren zwischen Kind in Hamburg, Eltern in Düsseldorf und Job in Lübeck
- Meinen Vollzeitjob auf Teilzeit runtersetzen, um allem irgendwie gerecht zu werden
- Ab 2015 war ich 9 Jahre lang mit der Pflege meiner Eltern im „Zusatznebenjob“ beschäftigt
- Die letzten 7 Jahre habe ich neben meinem eigenen Haushalt auch den meiner Eltern geführt
- Ich habe nicht nur auf Freizeit und Urlaube verzichtet, sondern auch auf Geld und mein Fortkommen in meinem eigentlichen Job. Und auf Rente.
Habe ich den Gender Care Gap in meinem Leben kommen sehen?
Jein. Natürlich habe ich es geahnt, aber ich habe – wie viele Menschen wahrscheinlich – die Augen davor verschlossen. Dabei ist es so wichtig, schon vorher hinzusehen. Und sich schon vorher innerhalb der Familie zu überlegen, wer im Falle eines Falles welchen Anteil dieser zusätzlichen Care-Arbeit übernimmt. Ich bin Einzelkind, bei mir gab es nicht viel aufzuteilen, als meine Eltern pflegebedürftig wurden.
Leider Fakt: Ich sehe so viele Frauen in meinem Umkreis, die vom einen auf den anderen Tag plötzlich Eltern oder Schwiegereltern pflegen, während sie selbst in diesem berühmten „besten Alter“ sind, in dem man doch eigentlich gerade ENDLICH beruflich vorankommen wollte.
Halten wir uns das doch nochmal vor Augen: Viele dieser Frauen haben ihre Erwerbstätigkeit jahrelang zugunsten der Familie und der Kinder runtergeschraubt und möchten langsam wieder ihre Stunden aufstocken – und genau in diesem Moment steht die Pflege der Elterngeneration an.
Die irgendjemand leisten muss.
Denn: Bei Pflegegrad 3 kostet eine vollstationäre Pflege immer noch 2.800 Euro Eigenanteil im Monat. Hart ausgedrückt…
Die Mutti der Familie ist da die billigere Arbeitskraft.
Es sind einfach immer die Mütter. Ich kenne selbst in meiner aufgeklärten, halbwegs gleichberechtigt agierenden Bubble keine Männer, die ihre Eltern pflegen und dafür in Teilzeit gehen, um sich offiziell als Pflegende Angehörige registrieren zu lassen (Stichwort: Rentenansprüche sichern).
Es bleibt einfach immer den Frauen überlassen, diese Form der Care-Arbeit „nebenbei“ mitzuwuppen. Und die ganzen, oben genannten Nachteile dafür in Kauf zu nehmen.
Wir muten als Gesellschaft den Frauen zu, durch geringere Erwerbstätigkeit noch weniger für ihr eigenes Alter vorzusorgen und sich stattdessen um das Altern der Angehörigen zu kümmern.
Was können wir alle gegen den Gender Care Gap tun?
Um den Gender Care Gap zu verringern, braucht es meiner Ansicht nach Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen:
Gesellschaftlicher Wandel:
Wir müssen traditionelle Rollenbilder hinterfragen und eine gleichmäßigere Verteilung der Sorgearbeit als normal betrachten.
Politische Maßnahmen:
Die Politik kann Anreize schaffen, damit sich Männer stärker in die Care-Arbeit einbringen. Beispiele sind die Gestaltung von Elternzeit und Elterngeld oder die Familienpflegezeit[1].
Betriebliche Unterstützung:
Unternehmen können flexible Arbeitsmodelle anbieten, die es beiden Geschlechtern ermöglichen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren.
Individuelle Verantwortung:
Jede und jeder Einzelne kann in der eigenen Partnerschaft oder Familie für eine gerechtere Verteilung der Sorgearbeit sorgen.
Ein Blick in die Zukunft des Gender Care Gaps
Erfreulicherweise zeigen aktuelle Daten, dass sich der Gender Care Gap in Deutschland langsam verringert. Lag er bei der letzten Erhebung 2012/2013 noch bei 52,4 Prozent, ist er nun auf 44,3 Prozent gesunken[2]. Das ist ein positiver Trend, aber es bleibt noch viel zu tun.
Der Gender Care Gap ist und bleibt aus meiner Sicht ein wichtiger Indikator für die Gleichstellung in unserer Gesellschaft. Er zeigt uns, dass wir trotz aller Fortschritte noch weit von einer gerechten Verteilung der Sorgearbeit entfernt sind.
Als Gesellschaft stehen wir vor der Herausforderung, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Frauen und Männern gleichermaßen ermöglichen, am Arbeitsmarkt präsent zu sein und sich die Aufgaben der Kinderbetreuung und Pflege fair zu teilen[1].
Jede und jeder Einzelne von uns kann dazu beitragen, den Gender Care Gap zu verringern. Sei es durch die Reflexion der eigenen Rollenbilder, die faire Aufteilung von Sorgearbeit in der eigenen Partnerschaft oder das Eintreten für familienfreundliche Arbeitsbedingungen.
Letztendlich geht es darum, eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen – unabhängig von ihrem Geschlecht – die Möglichkeit haben, sowohl im Beruf als auch in der Familie ihr volles Potenzial zu entfalten. Der Gender Care Gap erinnert uns daran, dass wir auf diesem Weg noch einige Schritte vor uns haben.
Meine Quellen zu diesem Thema
[1] https://www.aok.de/pk/magazin/familie/eltern/gender-care-gap-sorgearbeit-gerecht-aufteilen/
[2] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/gender-care-gap/indikator-fuer-die-gleichstellung/gender-care-gap-ein-indikator-fuer-die-gleichstellung-137294
[3] https://www.fes.de/wissen/gender-glossar/gender-care-gap
[4] https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2021/heft/10/beitrag/gender-care-gap-sorgearbeit-gerecht-verteilen.html
[5] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/02/PD24_073_63991.html
[6] https://www.iss-ffm.de/aktuelles/neuveroeffentlichung-was-der-gender-care-gap-ueber-geld-gerechtigkeit-und-die-gesellschaft-aussagt
[7] https://www.bmfsfj.de/gendercaregap